Texte zu Jürgen Schieferdecker
Was Kunst vermag
Was kann Kunst? Wenig, höre ich und kann das leider nicht dementieren. Aber: wenig ist nicht NICHTS.
Dieses "WENIG" an künstlerischer Wirkungspotenz, soweit sie einigermaßen auf der Höhe ihrer Zeit ist, umfaßt immerhin die Spanne von scharf-kritischer Reflexion unzulänglicher Realität bis zur fundierten Antizipation einer möglichen besseren Welt, vom mißlichen HEUTE zum auskömmlichen MORGEN oder Übermorgen, die es als Arbeitsfeld anzunehmen und zu bestellen gilt.

Dann können auch Zeichen für das UNTERWEGS zwischen diesen Polen gesetzt werden, um damit der einzigen Chance, jeweilige Gegenwart ehrlich nach vorn zu bestehen, wirksam auf die Sprünge zu helfen. Für die Insider ist das sicher unwichtig: die haben es sowieso eh schon gewußt. Aber etlichen anderen kann daran Unter- und Vorbewußtes zur Klarheit gedeihen und in eine gewisse, statistisch nicht unerhebliche Menge von Zeitgenossen vielleicht wenigstens der Stachel gesetzt werden, der ihr fettes Heute aufrührt, um es womöglich für einen schlankeren Morgen-Gang bereitzumachen. ("Mögen hätten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut" - Karl Valentin), wobei HALTUNG bekanntlich beispielgebendes an sich hat. Und ich hege den Verdacht, das eben dieses Potential bisher immer fehlte, wenn es darum ging, DEMOKRATIE zu praktizieren, sie nicht zu herabgesetzten Preisen, sondern im vollen Begriff ins Werk zu setzen. So ähnliches, die Mobilisierung eines latent-ungenutzten Potentials, hatte wohl auch Joseph Beuys im Visier, als er sein Fett in die berühmte Ecke brachte. Natürlich: Über die Mittel kann man streiten, wird sie auch präzise aufs jeweilige Umfeld zuschneiden müssen. Kunst in diesem meinethalben durchaus herkömmlich geformten, jedenfalls aber progressiv-engagierten Sinne muß zugleich ihr Publikum finden und brisant und unanfechtbar, siebenmal gesiebt, hart, geschliffen und schön wie ein Bachkiesel sein, den Finsternishändlern aller Schattierungen über die Bandbreiten ihrer schwarzen Brillen hinaus zum Hohne. Was diese Klippe nicht überwinden kann, nur in der Schublade ängstlich gehütet wird, nützt keinem. Das ist dann weniger als WENIG und nicht viel mehr als NICHTS.

1984. Vom Kunstdienst der Ev.-Luth. Landeskirche Thüringens illegal hektografierter Text